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Beschreibung
Goethes „Hokuspokus … mit dem trüben Glas, worauf eine Schlange“. Eine Objektgeschichte
Stefan Grosche
Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach wird ein Ranftglas mit Weinrankenmotiv verwahrt, das von Hegels Nachfahren an das Archiv übergeben wurde. Dieses Glas habe Hegel – so dessen Nachfahren – 1821 von Goethe erhalten, es wird daher als „Goethe-Hegel-Glas“ bezeichnet. Nun spricht einiges dafür, dass es sich hierbei um eine Verwechslung der Nachfahren Hegels handelt: in Goethes Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen wird immer nur das sogenannte „Karlsbader Glas“ mit dem Schlangenmotiv beschrieben, das die Klassik-Stiftung in Weimar verwahrt.
Goethe verwendete zwischen Mai 1820 und Oktober 1821 erhebliche Mühe darauf, insgesamt elf derartige Gläser aus Karlsbad zu beschaffen und führte deren überraschende Farbeffekte gern seinen Weimarer Besuchern vor. Der Dresdner Arzt, Naturwissenschaftler und Landschaftsmaler Carl Gustav Carus hat nach seinem einzigen Besuch bei Goethe am 21. Juli 1821 die künstlerisch und optisch wohl exakteste Beschreibung des Glases mit dem Schlangenmotiv festgehalten: „So erinnere ich mich eines Glases, auf welchem die eingebrannte Malerei einer zusammengerollten Schlange sich befand. – Sah man sie an dem frei in hellem Licht stehenden Glase, so erschien die Schlange gelb, legte man hingegen ein schwarzes Papier in das Glas und betrachtete das Bild bei von vorn auffallendem Lichte, so glänzte es in prächtigem Ultramarinblau, während ein schief einfallendes Licht sogleich diese Farbe in angenehmes Papageygrün verwandelte.“ (Carus 1843)
Nicht alle der erworbenen Trinkgläser zeigten den Effekt des Farbwechsels so eindrucksvoll, wie Goethe ihn wünschte. Hegel erhielt jedoch am 24. Juni 1821 ein einwandfreies Exemplar und bedankte sich mit seinem Antwortbrief vom 2. August 1821 wie folgt: „… ich habe mich nicht genug ergötzen können, jetzt an der Unergründlichkeit des Phänomens, jetzt an dem Sinnreichen der Darstellung, jetzt an der Zierlichkeit der Ausführung, jetzt an der Fruchtbarkeit der Folgen, … Auch die Phänomene der abgeleiteten Farben treten so annehmlich hervor, wenn wir dazu schreiten, das Trinkglas seine spezifischere Bestimmung, mit dem verschiedenfarbigen Wein, erfüllen zu lassen. So instruktiv von je ein Glas Wein gewesen, so hat es nun durch Euer Exzellenz Wendung hieraus unendlich gewonnen.“
Die Familie Hegels (und auch spätere Autoren) beziehen sich in der Zuschreibung des Marbacher Trinkglases auf dieses im Brief erwähnte Weinmotiv. Jedoch geht schon aus dieser umständlichen und humorvollen Beschreibung des Geschenkes hervor, dass sich Hegel keineswegs auf das Weinrankenmotiv des Glases bezieht, sondern vielmehr das Glas seiner „Bestimmung“, nämlich dem Einfüllen und dem genüsslichen Leeren des Weines zuführt. Der bebilderte Aufsatz beschreibt eine Objektgeschichte dieses herausragenden und für Goethe hoch symbolischen Werkstückes, sammelt die verfügbaren Dokumente und Zeugnisse und legt die Verwechselung dar. Das sogenannte „Goethe-Hegel-Glas“ befindet sich hiernach nicht in Marbach, sondern in Weimar.
In diesem Buch wird jedoch nicht nur die Legende zum Ursprung des angeblichen Goethe-Hegel-Glases im Literaturarchiv Marbach beleuchtet, sondern es enthält die gesamte Objektgeschichte des Karlsbader Glases und der Faszination, die dieses auf Goethe ausübte. Des Weiteren ist eine „Chronologie der Bemühungen Goethes um das ‚Karlsbader Trinkglas‘“, ein Brief von Mattoni an Goethe, ein Briefwechsel zwischen Goethe und Hegel und ein „Verzeichnis gegenwärtigen Vorrats an opalisierenden Gläsern bei den Glashändlern in Karlsbad“, vom 11. August 1821, im Buch enthalten.
Rezension:
Lebendig und anschaulich ist Grosches Darstellung geschrieben, ohne deshalb den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit einzubüßen. Von einem Detailproblem ausgehend wird uns ein wesentliches Element von Goethes Farbauffassung vor Augen geführt. Der kleinen Schrift ist über den Kreis ihrer Kasseler Empfänger hinaus Verbreitung zu wünschen.
Jochen Golz, Goethe-Gesellschaft Weimar e.V.
Über den Autor:
Dr. Stefan Grosche ist Internist in Bad Wildungen. Er hat Medizin in Göttingen studiert und zu „Lebenskunst und Heilkunde bei Carl Gustav Carus. Anthropologische Medizin in Goethescher Weltanschauung“ promoviert. 2001 hat er den Briefwechsel zwischen Carus und Goethe ediert. Von 2013 bis 2023 war er Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Kassel.
Goethe-Gesellschaft Kassel:
Die Goethe-Gesellschaft Kassel e.V. ist ein seit 1949 bestehender selbständiger Verein, der sich hauptsächlich mit Goethes Werk und der Deutschen Klassik auseinandersetzt. Dabei arbeitet sie als größte regionale Goethe-Gesellschaft in Deutschland mit allen anderen Ortsvereinen und der internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar zusammen. Ihr erklärtes Ziel ist es, das Werk Goethes und seine Gedankenwelt im Bewusstsein zu halten und dabei auch Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Dafür organisiert die Goethe-Gesellschaft Vorträge und deren Veröffentlichung in Form von Jahresgaben, Lesungen, Ausstellungsbesuche und Exkursionen.
Links:
Ein weiteres Buch zu Goethes Farbenlehre: Was ist Farbe?
Website der Goethe-Gesellschaft Kassel
Ausstellung in der Klassik Stiftung Weimar zu Goethes Farbenlehre