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Kaiserstraße 13 – Wie Juden in Kassel unter Nazideutschland litten

16,00 

ISBN: 978-3-928172-91-2 | 255 Seiten | Kartoniert

Beschreibung

Kaiserstraße 13

Geschichten vom jüdischen Leben und seiner Zerstörung im Vorderen Westen, in Kassel und der Region.

von Wolfgang Matthäus

Zahlreiche Menschen jüdischen Glaubens lebten vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1942 in der Kaiserstraße 13, der heutigen Goethestraße 13 in Kassels Stadtteil Vorderer Westen. Darunter waren Menschen, die aus alteingesessenen und mitunter prominenten Kasseler Familien stammten, aber auch solche, die vom Land vertrieben und in das Haus eingewiesen worden waren. Unter den jüdischen Bewohnern des Hauses 13 gab es 30 Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Juden in Kassel und ganz Deutschland.

Rezension:

Die Forschungen zur jüngeren Geschichte des Kasseler Judentums stehen trotz der verdienstvollen Studien von Wolfgang Prinz noch immer in den Anfängen. Insbesondere ist die Geschichte mancher ihrer herausragenden Persönlichkeiten und Familien noch zu schreiben.

Wolfgang Matthäus war Geschichtslehrer in Kassel und befasst sich seit Jahrzehnten mit Leben und Werk zahlreicher jüdischer Kasseler Familien. Ausgangspunkt war ein von ihm mit Schülern gemeinsam durchgeführtes Projekt zu den Biographien ehemaliger jüdischer Schülerinnen („Als jüdische Schülerin entlassen“, Kassel 1987) der Meysenbugschule, die seit 1940(!), bis zum heutigen Tage nicht revidiert, Heinrich-Schütz-Schule heißt. Auch von dort führten einige Schülerinnen-Lebenswege in das Haus Kaiserstraße 13.

Das im bürgerlichen Vorderen Westen der Stadt gelegene Haus war Mitte der 1920er Jahre aus eigenem Entschluss von der prominenten Familie Fiorino erworben worden. In den folgenden Jahren wohnten dort zahlreiche jüdische Familien, bis dann ab 1940 viele um ihr Eigentum bzw. ihre Wohnung gebrachte Juden in und um Kassel auf staatspolizeiliche Veranlassung hin vorübergehend in diesem Haus unterzubringen waren. Die meisten von ihnen konnten der Deportation und dem Tod in den Lagern im Osten nicht mehr entkommen. Gelang einigen Familien aus der Kaiserstraße 13 nach unendlichen Anstrengungen doch noch rechtzeitig die Flucht ins Ausland, standen sie, zum Teil bis dahin wohlhabend, in der Emigration über Nacht vor dem Nichts. Die Frau des Rechtsanwalts Dr. Moritz Stern in St. Louis hatte z.B. im eigenen Haus Schokolade herzustellen, um das Einkommen aufzubessern.

Vom NS-Staat Hab und Gut der Auswanderung beraubt musste sich der Unternehmer Louis Löwenstein aus Felsberg als Brauereiarbeiter verdingen.

Matthäus hat umfassend und sorgfältig zu den Lebens- und Leidenswegen der Familien recherchiert. In fast allen Fällen gelang es ihm, die berufliche Tätigkeit und Wirksamkeit Einzelner knapp darstellen zu können. Dabei werden die stadt- und regionalgeschichtlichen Forschungen zur NS-Geschichte aufgegriffen und gut einbezogen. Auch allgemeine historische Bezüge (NS-Politik gegen Juden) werden hergestellt. Dadurch, dass der Autor den Blick auf den Mikrokosmos der Bewohner eines Hauses und deren Lebensgeschichte richtet, schließt er an die Studien von Wolfgang Prinz an, die er nun biographisch bzw. familiengeschichtlich erweitert und vertieft. Ohne, dass dies in der Studie besonders hervorgehoben wird, sehe ich in der Kaiserstraße 13 auch Streiflichter auf die bewegten Lebenswege vertriebener Menschen geworfen. Das Buch enthält zahlreiche äußerst wertvolle und andernorts kaum mehr erreichbare Informationen zum Kasseler Judentum.

Künftige Studien und Forschungen werden daran nicht vorbeigehen können.

Diefrid Krause-Vilmar aus der Ausgabe 2015 der Zeitschrift für Hessische Geschichte und Landeskunde (ZHG)

Das Leben der Juden in Kassel – und sein abruptes Ende

Wie in ganz Deutschland fielen viele Juden in Kassel dem Schreckensregime der Nationalsozialisten zum Opfer. Erst wurden sie diskriminiert. Als kein nennenswerter Widerstand und große Zustimmung aus dem deutschen Volk erfolgten, setzten die Nazis schließlich ihren Plan um und verfolgten, deportierten, und ermordeten die Juden, sowie weitere Volksgruppen, Minderheiten, Regimegegner und weitere „andersartige“ in Konzentrationslagern. Einen vergleichbar grausamen Genozid wird man in der jüngeren Geschichte der Welt nicht entdecken können.

Auch die Juden in Kassel waren dabei keine Ausnahme. In der Kaiserstraße 13, im vorderen Westen Kassels lebten viele jüdische Menschen, darunter Menschen, deren Namen in der Stadtgeschichte Kassels eine wichtige Rolle spielten. Allein in diesem Haus fielen mindestens 30 jüdische Bewohner der rassistischen Ausrottungspolitik zum Opfer. Wolfgang Matthäus geht in seinem Buch über das einfache „Hier wohnten“ der Stolpersteine vor dem mittlerweile unscheinbaren Haus hinaus und zeigt auf, wie der Lebensweg der vielen Juden in Kassel in der Kaiserstraße 13 verlief. Und wie ihr Leben ein Ende fand.

Einige der Opfer unter dem deutschen Regime

Henriette Plaut. Auch ihr Sohn, der Anwalt Max Plaut, wurde von den Nazis ermordet. Die Nazis misshandelten ihn am 24. März 1933 so brutal, dass er 10 Tage später an inneren Verletzungen starb. Henriette Plaut war die Witwe von Leopold Plaut, einem Bankier.

Franziska Katzenstein. Sie war die Mutter des Kunstfliegers Kurt Katzenstein.

Alexander Fiorino. Er war Hausbesitzer, Bankier, Mäzen und vielfach gesellschaftlich engagiert. Die Nazis enteigneten und demütigten ihn, bevor er im Alter von 98 Jahren in der Kaiserstraße 13 verstarb.

David Goldstein. Marianne Spangenthal. Auch sie und viele weitere Bewohner der Kaiserstraße 13 wurden ermordet.

Juden in Kassel und jüdische Gemeinden in Kassel – Eine lange Geschichte

Seit dem Mittelalter lebten Juden in Kassel und es bestand eine jüdische Gemeinde. Auch damals hatten die Juden in Kassel ein sehr schweres Leben. Sie wurden diskriminiert, gehasst und teilweise vertrieben. Das änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als König Jerome Bonaparte, der Bruder Napoleon Bonaparte’s ein Dekret zur Freiheit und Gleichberechtigung erließ, das von den Juden in Kassel als Befreiung gesehen wurde und reich umjubelt war.

Die Emanzipation der Juden in Kassel schritt immer weiter voran und das jüdische Leben florierte. Viele jüdische Bürger Kassels waren erfolgreiche Händler, Handwerker, Inhaber kleiner Betriebe, Bankiers und vieles mehr. Doch mit dem Aufkeimen des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik begann die Zerstörung dessen, was sich über die Jahrhunderte hart erarbeitet wurde. Deutschland und der Rest der Welt befanden sich in der Weltwirtschaftskrise. Vielerorts wurde ein Sündenbock gesucht. Überall erhoben sich Rassismus und Judenfeindlichkeit, doch vor allem das deutsche Volk war zu großen Teilen bereit, die Juden für ihre Situation und das Schlechte in der Welt verantwortlich zu machen.

Juden in Kassel und jüdische Gemeinden in Kassel – ein jähes Ende

Bereits bevor die Deutschen die NSDAP in die Regierung und schließlich mit überwältigender Mehrheit zur Alleinherrschaft wählten, hatte die NSDAP große Auswirkung auf viele Deutsche und somit das Leben in Kassel und Deutschland, vor allem auch auf das der Juden. Die jüdisch geführte Tageszeitung „Casseler Tageblatt“ beispielsweise bestand seit dem 19. Jahrhundert und fand mit auf dem Höhepunkt einer Auflage von 21000 Exemplaren große Beliebtheit. Nationalsozialistische Boykottpropaganda führte dazu, dass Anzeigenzahl sowie gekaufte Exemplare stark zurückgingen. Der Betrieb musste schließlich am 30. September eingestellt werden.

Zum Boykott jüdischer Geschäfte wurde bereits seit 1930 in der NS-Zeitung „Hessische Volkswacht“ aufgerufen. Juden in Kassel litten bereits vor der Herrschaft der Nazis unter dem Rassismus und Antisemitismus der Deutschen.

1933 lebten 2301 Juden in Kassel. Den Startschuss für die Gewalt und den Terror der folgen sollte, setzte die bereits beschriebene Misshandlung und Ermordung von Max Plaut. Unzählige Ungerechtigkeiten und unsagbare Dinge widerfuhren der jüdischen Bürgerschaft in den folgenden 12 Jahren. Zum Beispiel am 11. Dezember 1933, als nach einer Rede von Julius Streicher die Geschäfte jüdischer Inhaber gestürmt wurden. Bis 1938 waren die meisten Gewerbetreibenden zur Aufgabe gezwungen oder die Betriebe „arisiert“. Oder als die örtliche Synagoge 1938 beim Novemberpogrom verwüstet und kurz darauf abgebrochen und viele jüdische Geschäfte demoliert oder ganz zerstört wurden. 250 jüdische Männer wurden verhaftet und in das KZ Buchenwald gebracht.

Die Juden in Kassel waren in den darauf folgenden Jahren einer immer stärker werdenden Entrechtung ausgesetzt. 1940 lebten 1300 Juden in Kassel. 1941 lebten nach der Deportation etwa 1000 weiterer kasseler Juden in Konzentrationslager oder Gettos und der Abwanderung der Restlichen keine Juden mehr in Kassel. Die Deutschen hatten ihr Ziel hier erreicht. Von 1941 bis 1945 war Kassel „judenfrei“.

Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in Kassel

Nachdem die Alliierten die Deutschen bezwungen hatten, gründeten einige Flüchtlinge eine neue Gemeinde für Juden in Kassel. Ein Großteil, etwa 80 Prozent von ihnen, waren aus dem Osten geflüchtet. 2006 war die jüdische Gemeinde wieder auf etwa 1300 Menschen gewachsen. Seitdem fand eine zahlreiche Abwanderung junger Menschen in größere Städte statt. Zudem verstarben viele Mitglieder der überalterten Gemeinde. 2013 zählte die Gemeinschaft der Juden in Kassel 880 Mitglieder.

 

Interessante Links:

Weitere Werke, die sich mit der Thematik auseinandersetzen:

„Auf einmal sind sie weggemacht“

Eine kleine Stadt in Hessen

Jüdische Gemeinde Kassel:

Die Jüdische Gemeinde Kassel

Sara Nussbaum Zentrum für jüdisches Leben